Landesdatenschutzbeauftragter Niedersachsen: Medienprivileg für Internetforen

Leute aufgepasst: An einem Strand mit vielen Wanderdünen hat eine davon einen großen Satz gemacht! Ein Mandant hat ein Schreiben von dem Beauftragten für den Datenschutz des Landes Niedersachsen erhalten, in dem etwas verschwurbelt, aber eindeutig steht, dass für Internetforen das datenschutzrechtlichen Medienprivileg gilt und daher bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Äußerungen das Datenschutzrecht keine Anwendung findet. Bitte hier selbst studieren! Alleine das Zivilrecht mit seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sei maßgeblich.

Wahnsinn!

Alle, die wissen, warum das so etwas wie eine kleine Sensation ist, gehen jetzt bitte feiern. Und die, die es nicht wissen, lesen jetzt bitte weiter.

Datenschutz und Internet

Das deutsche Datenschutzrecht ist eine einzige zerklüftete Baustelle. Die Gesamtheit der anwendbaren Vorschriften stellen kein in sich schlüssiges Konzept zum Schutz personenbezogener Daten dar. Der Schutz ist inkonsistent, vor allem im Bereich der elektronischen Kommunikation. Die unklaren gesetzlichen Rahmenbedingungen verursachen große Unsicherheit bei allen Rechtsanwendern. Insbesondere der Staat weiß nicht, wie er datenschutzrechtlich mit diesem brandneuen Medium Internet, das ja schwer im Kommen sein soll, umzugehen hat. Nun ist der Staat in Gestalt der Landesdatenschutzbeauftragten der Idee verfallen, dass jeder, der eine Website betreibt, eine datenverarbeitende Stelle ist, die die Datenschutzgesetze einzuhalten hat. Diese Auffassung zieht eine ganze Reihe von Konsequenzen nach sich:

Beispiel: IP-Adressen

Zum Beispiel soll der gemeine Blogger keine IP-Adressen speichern dürfen (dazu in diesem Blog in Kürze etwas mehr). Damit habe ich als Blogger kein Problem, denn ich weiß mit IP-Adressen genauso wenig anzufangen, wie mit einem unachtsam weggeworfenen Stück Papier, das jemand beim Metzger vor der Warteschlange bekommen hat und auf dem eine Nummer steht, die ihm mitteilt, wann er seine Fleischwurst kaufen darf. Vielleicht weiß der Metzger, wer sich hinter dieser Nummer verbirgt, weil er das mit seiner im Geschäft angefertigten Virdeoaufnahme abgleicht, ich weiß es jedenfalls nicht. Also: Mit dem von den Datenschutzbeauftragten ausgegebenen Elften Gebot, “Du sollst keine IP-Adressen speichern” kann ich leben.

Datenschutz und Medieninhalte

Womit ich aber nicht leben kann, ist die Auffassung der Landesdatenschutzbeauftragten, dass jede Veröffentlichung von Tatsachen und Meinungen über lebende Person auf einer Website eine “Übermittlung von personenbezogenen Daten” im datenschutzrechtlichen Sinne sein soll. Als Betreiber einer Website wird man also behandelt wie die Schufa, die einer Bank im Verborgenen die auf bestimmte Art und Weise der elektronischen Datenverarbeitung ermittelte Bonität eines potenziellen Kreditnehmers mitteilt. Lieber Blogger, in den Augen der Datenschützer bist also auch Du Schufa! Das ist nicht nur lustig, sondern auch verfassungsrechtlich sehr problematisch.

Kanzlerinnendaten

Um meinen argumentativen Ansatz ein von vornherein plastisch darzustellen: Wenn ich in diesem Blog etwas über unsere Kanzlerin schreibe, zum Beispiel, dass ich sie wählenswert oder unwählbar finde, dann verarbeite ich nach Auffassung der Landesdatenschutzbeauftragten die personenbezogenen Daten von Frau Dr. Angela Merkel, weil ich an Dritte, nämlich an Sie, liebe Leser, den bürgerlichen Kanzlerinnennamen im Sinne des § 29 BDSG übermittele. Und noch schlimmer: Ich habe das Datum “bürgerlicher Kanzlerinnenname” ja ohne Wissen von Frau Merkel und auch nicht direkt bei ihr “erhoben”, denn Frau Dr. Merkel hat ihre Daten ja nicht in meinen Blog eingestellt oder mir per E-Mail übermittelt. Nein, ich habe Frau Dr. Merkel auch nicht nach ihrem bürgerlichen Kanzlerinnennamen gefragt, sondern diesen kürzlich der Süddeutschen Zeitung entnommen.

Was das datenschutzrechtlich heißt? Eine ganze Menge: Ich muss Frau Merkel zunächst gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 BDSG benachrichtigen. Weil ich die Daten von Frau Merkel geschäftsmäßig übermittele (geschäftsmäßig heißt nicht geschäftlich, Nachhaltigkeit genügt), muss ich Frau Merkel außerdem Bescheid sagen, BEVOR ich meine Meinung über sie als Kanzlerin in diesem Blog sage. Damit aber nicht genug: Selbst wenn ich ihr vorher Bescheid sage, ist meine Äußerung über Frau Dr. Merkel nicht ohne weiteres zulässig. Das will sauber geprüft sein, wobei sich die Zulässigkeit der Veröffentlichung aber nicht etwa aus der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 GG, sondern aus § 29 Abs. 2 BDSG ergeben soll. Die Veröffentlichung des Namens von Frau Merkel, also die “Übermittlung personenbezogener Daten”, ist mir nach dieser Vorschrift nur erlaubt, wenn “der Dritte, dem die Daten übermittelt werden, ein berechtigtes Interesse an ihrer Kenntnis glaubhaft dargelegt hat”. Das heißt: Liebe Leser, bitte legt mir glaubhaft dar, dass Ihr ein berechtigtes Interesse habt, den Namen von Frau Merkel und meine Meinung zu ihrer Wähl- oder Unwählbarkeit zu erfahren.

Wir fassen zusammen: Bei konsequenter Anwendung des geltenden Datenschutzrechts auf den Inhalt von Internetseiten, muss der Anbieter der Seite, wenn er etwas über eine andere Person schreibt,

  1. diese Person vor der Veröffentlichung individuell benachrichtigen und
  2. bevor die Veröffentlichung einem Leser zur Kenntnis gebracht wird, von diesem eine glaubhafte Darlegung verlangen, warum er ein berechtigtes Interesse an der Kenntnisnahme der Veröffentlichung hat.

Wer diese Regeln nicht beachtet, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet wird. Und über all dem wachen die Landesdatenschutzbeauftragen.

Solange es so etwas wie ein Grundgesetz und eine Meinungsfreiheit gibt, finde ich das schwer vertretbar, doch bislang ist dies die Folge der Auffassung der Datenschutzbehörden.

Medienprivileg

Und wie kommen wir hier jetzt wieder raus? Über das Medienprivielg der §§ 41 BDSG, 57 RfStV: Zugunsten von Angeboten, die redaktionell-journalistischen Zwecken dienen, setzt das Medienprivileg den ganzen vorgenannten Quatsch außer Kraft.

Problem nun: Was ist journalistisch-redaktionell? Bislang hat die herrschende Meinung darunter nur die Presse im klassischen Sinne verstanden. Dafür spricht auch einiges: Die Verortung des Privilegs im Rundfunkstaatsvertrag lässt vermuten, dass im elektronischen Bereich nur Rundfunkveranstalter und die von ihnen betriebenen Online-Dienste in seinen Genuss kommen sollen. Ferner lässt sich eine enge Auslegung der Medienprivilegien durchaus auch mit dem Wortlaut der einschlägigen Normen begründen, wonach eben nicht jedweder Inhalteverbreiter, sondern nur der, der bestimmte Qualitätsmaßstäbe einhält, datenschutzrechtlich privilegiert sein soll. Man kann in diesem Kontext vielleicht noch als Argument anfügen, dass man von dem gewöhnlichen Websitebetreiber mangels Recherchemöglichkeiten auch keine journalistische Sorgfalt verlangen kann. Der Wegfall des datenschutzrechtlichen Privilegs würde dann aufgewogen durch einen etwas großzügigeren Sorgfaltsmaßstab.

Medienprivileg und Meinungsfreiheit

Nach meiner Meinung ist dieses enge Verständnis der Medienprivilegien im Zeitalter des Internet und der damit einhergehenden Demokratisierung der Medien nicht mehr zu halten. Mir leuchtet nicht unmittelbar ein, warum eine (dann frei äußerbare) Meinung der traditionellen Medienunternehmen wertvoller sein soll als die (dann datenschutzrechtlich einschränkbare) Meinung des Bloggers. Solange das Grundgesetz gilt, darf man bis auf ganz eng umrissene Ausnahmefälle (prominentestes Beispiel: Auschwitzlüge) keine Unterscheidung auf Grundlage des Inhalts einer Meinung oder auf Grundlage der Person, die die Meinung äußert, treffen. So etwas nennt der Amerikaner Viewpoint Discrimination und die ist auch in der Bundesrepublik grundsätzlich verfassungswidrig. Außerdem: Wenn ich meine Meinung über jemanden sagen möchte, dann ergibt sich aus der Meinungsfreiheit des Grundgesetzes, dass ich die dafür erforderlichen Datenverarbeitungsprozesse vornehmen dürfen muss. Die datenschutzrechtliche Perspektive stellt dies auf den Kopf, denn danach dürfte man nur die Meinung äußern, die keine Datenverarbeitungsprozesse erfordert. Die Meinungsfreiheit stünde danach unter einem merkwürdigen, durch ein einfaches Gesetz geschaffenen Vorbehalt der Technologielosigkeit. Dies würde die grundgesetzliche Freiheitsgewährung unterlaufen, die ja gerade unterschiedslos für alle, gerade auch moderne Kommunikationsarten gelten soll. Die Meinungsfreiheit steht aber eben nicht unter dem Ausgestaltungsvorbehalt eines einfachen Gesetzes. Sie steht über diesen Dingen.

Und genau diese verfassungsrechtlichen Grundsätze lässt eine enge Auslegung der Medienprivilegien des Bundesdatensschutzgesetzes und des Rundfunkstaatsvertrags außer Betracht. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung müssen sie also auf jeden Medieninhalt erstreckt werden.

Das Schreiben des Landesbeauftragten für den Datenschutz von Niedersachsen liest sich nicht so, als hätte sich der Sachbearbeiter über all dies detailliert Gedanken gemacht. Vielleicht wurde das Schreiben auch komplett unbedacht verfasst. Man darf die Relevanz dieser Einzelmeinung also keinesfalls überschätzen, weil sie vielleicht auch in der Erwartung verschriftlicht wurde, dass sie aufgrund der geringen Bedeutung des konkreten Falls nicht publik wird. Wollen wir also die Kirche einmal im Dorf lassen. Nachdem aber die Datenschützer in der Vergangenheit sich gegenseitig darin übertroffen haben, innovative Medienformate und deren Inhalte (siehe Bewertungsportale (pdf), soziale Netzwerke(pdf) etc.) einer rigiden Datenschutzkontrolle zu unterziehen, ohne die Medienprivilegien auch nur mit einer Silbe zu erwähnen, ist das, was im Brief aus Niedersachsen steht, für mich nicht nur ein entfernter Lichtblick, sondern eine kleine Sensation.

This entry was posted in Allgemein. Bookmark the permalink. Both comments and trackbacks are currently closed.