OLG Hamburg: Veröffentlichung von ungeschwärzten Urteilen und Haftung des Host-Providers

Nach längerem, vornehmlich berufsbedingtem Schweigen melde ich mich zurück mit einem Urteil des OLG Hamburg, das wir im Hauptsacheverfahren für ein Hosting-Unternehmen erstritten haben. Die Entscheidungen der Vorinstanz und im Verfügungsverfahren sind ein bisschen durch die Landschaft gegeistert (hier, hier, hier, hier, hier, hier oder hier) und hatten für ein wenig Verunsicherung gesorgt (so wurde zum Beispiel von Leuten, die es vermutlich richtig gut beurteilen können, behauptet, unsere Berufung habe keine Aussicht auf Erfolg). Im Kern ging es in dem Verfahren um zwei Fragen: Wann müssen in Urteilen die Klarnamen der Prozessbeteiligten einschließlich der Namen der Anwälte geschwärzt werden? Und wann haftet ein Webhosting-Unternehmen, wenn Dritte auf dem Server rechtsverletzende Inhalte ablegen. Alles keine wirklich neuen Fragen, viel wird darüber geschrieben und gepostet, zahlreiche Profilneurotiker sind da draußen unterwegs, und ich würde auch nicht den dreitausendsten Beitrag über die Haftung des Intermediärs für fremde Inhalte verfassen, wenn ich nicht den Sinn von Blogs gerade auch darin erblicken würde, Geschichten zu Ende zu erzählen, wenn anderswo der Anschluss verpasst wird. Es besteht nämlich die Gefahr, dass sich ein schlechtes Urteil in der Community hält und mangels anderweitiger Informationen nun das Maß aller Dinge wird. (Die offiziell-redaktionelle Publikationsmaschinerie veröffentlicht ja nicht immer Folgeentscheidungen, vielleicht weil sie zu schlicht oder zu unspektakulär sind.) Dieses Posting erfolgt daher der Vollständigkeit halber. Zugegeben: All dies ist Soft Law, aber für mich gehört die Rechtsrealität zum vollständigen Bild.

Den Sachverhalt und die Entscheidungsgründe fasse ich hier nicht zusammen. Das kann in den beiden Entscheidungen nachgelesen werden. Ich berichte nur vom Verlauf des Verfahrens:

Der Kläger hatte irgendwann letztes Jahr einen Verfügungsantrag gestellt, der auf Unterlassung einer ihn identifizierenden Berichterstattung gerichtet war und den die 25. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg – ohne mündliche Verhandlung und ohne uns Bescheid zu geben – zurückgewiesen hatte. Der Spruchkörper, der später im Hauptsacheverfahren unsere Mandantin mit hinterfragbaren Argumenten zu eben dieser Unterlassung verurteilt hatte, war also der Auffassung, dass entweder keine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorlag oder der Hoster dafür nicht haftet. Gute Entscheidung! Der klagende Rechtsanwalt sah das aber anders und ging nach der Zurückweisung seines Antrags in die Beschwerde zum Hanseatischen Oberlandesgericht, genauer: zum 7. Zivilsenat von Frau Dr. Raben, wo die einstweilige Verfügung dann tatsächlich erlassen wurde. Abermals geschah dies ohne mündliche Verhandlung und ohne dass wir die Gelegenheit bekamen, für unsere Mandantin den Sachverhalt zu unterbreiten oder sonstwie Stellung zu nehmen. Um es klarzustellen: Der Beschluss mit der Untersagungsverfügung wurde also alleine auf Basis der Informationen erlassen, die der klagende Rechtsanwalt dem Gericht unterbreitet hatte. Und die waren nun mal eher lückenhaft.

Im Einvernehmen mit unserer Mandantin haben wir den Kläger über § 926 ZPO in die Hauptsache gezwungen, wogegen er sich erfolglos gewehrt hatte. Also musste er Klage zum Landgericht Hamburg erheben und wir konnten erstmals in der Klageerwiderung den kompletten Sachverhalt und unsere Sicht der Dinge vortragen, und zwar nach zwei gerichtlichen Entscheidungen in demselben Fall und nachdem die Unterlassungsverfügung in der Welt war. Schon komisch, diese Zivilprozessordnung, ist aber zuweilen so. Das Landgericht Hamburg allerdings bezog sich in seinem erstinstanzlichen Urteil weniger auf seine eigene Auffassung aus dem Verfügungsverfahren oder unseren Vortrag, sondern hauptsächlich auf die Beschlussverfügung des 7. Zivilsenats des OLG aus dem Verfügungsverfahren. Herausgekommen ist ein schlechtes Urteil, das Adrian Schneider von telemedicus sehr schön kommentiert hat. In inhaltlicher Hinsicht ist dem nichts hinzuzufügen. Ein solcher Ausgang ist aber aus unserer Rechtsrealität heraus erklär-, weil in menschlicher Hinsicht gut nachvollziehbar: Wenn schon ein Votum der Berufungsinstanz im Verfügungsverfahren über eine Angelegenheit vorliegt, hat kaum ein Richter der Ausgangsinstanz im sich anschließenden Hauptsacheverfahren die Cojones, von der Auffassung des Oberlandesgerichts abzuweichen. Das gilt vor allem dann, wenn der darüber liegende Senat einigermaßen erfahren und berühmt für seine Expertise in Meinungsfreiheitsfragen und im Persönlichkeitsrecht ist.

Die Qualität des Urteils des Landgerichts, über das sich so viele nicht ganz zu Unrecht aufgeregt haben, erklärt sich also für mich vor allem aus der Prozessgeschichte. Ihre wirkliche und von der Auffassung des OLG unbeeinflusste Meinung hat die landgerichtliche Kammer wohl im Verfügungsverfahren kundgetan, als sie den Erlass einer Verfügung ablehnte. Aber das weiß ja kaum einer. Woher auch? Man darf das Urteil des Landgerichts Hamburg also nicht überbewerten. Ein bisschen mehr Mühe hätte sich die Kammer bei der Begründung vielleicht geben können. So verwundert es nicht wirklich, dass die Entscheidung durchweg kritisiert wird. Aber für Leute, die näher am Prozess dran waren, war klar, dass das, was im Urteil des Landgerichts Hamburg geschrieben steht, so keinen Bestand haben kann.

So kam es dann auch: Im Berufungsverfahren  ging alles ganz schnell. Zehn Minuten mündliche Verhandlung, keine Persönlichkeitsrechtsverletzung, ich musste kaum ein Wort sagen, Vorinstanz aufgehoben, Berufung stattgegeben.

Manchmal ist alles ganz unspektakulär.

Dann doch noch kurz zum Inhalt der OLG-Entscheidung: Nicht immer müssen aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen Urteile geschwärzt werden. Das habe ich schon immer gesagt. Es kommt halt drauf an. Hier ist die Sozialsphäre betroffen, ein Verbot darf nur erlassen werden, wenn eine Prangerwirkung oder sonst arg schädliche Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen gegeben sind. Das OLG musste dann nicht mehr über die Frage der Haftung des Hosters entscheiden. Schade. Ich bin mir sicher, wir hätten da so Einiges gerissen. Bei den vorherigen Entscheidungen sind die Gerichte nämlich schon in technischer Hinsicht von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Bei der Entscheidung des Landgerichts wäre es garantiert nicht geblieben. Hoffen wir, dass dieses Urteil nicht noch mehr die Runde macht, als bisher schon. Rechtstechnisch hat es sowieso keinen Bestand. Es ist aufgehoben, null und nichtig. Nun sollen diese ganzen Prozesshanseln auch aufhören, mit der Entscheidung zu wedeln, wenn sie Inhalte vom Hoster gelöscht haben wollen.

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2 Comments

  1. Posted 26. Februar 2010 at 21:34 | Permalink

    Verhandlungsbericht der Pseudoöffentlichkeit.

  2. Posted 26. Februar 2010 at 21:48 | Permalink

    Erfrischend. Zustimmung. Schönes Wochenende.

    :-)