LG Hamburg verneint Störerhaftung des Wikimedia Deutschland e.V. für Inhalte der Online-Enzyklopädie Wikipedia

Es wurden schon viele Versuche unternommen, den Wikimedia Deutschland e.V. für Inhalte der unter www.wikipedia.org abrufbaren Online-Enzyklopädie Wikipedia in Haftung zu nehmen. All diese Versuche sind – mehr oder weniger spektakulär – gescheitert. Wie bereits zuvor das Landgericht Köln hat nun auch das für seine besondere Strenge bekannte Landgericht Hamburg in seinem Urteil vom 26. März 2010 (325 O 321/08) eine Verantwortlichkeit des Wikimedia Deutschland e.V. für einen Wikipedia-Artikel verneint. Die Entscheidung ist nach meinem Dafürhalten vor allem deswegen bemerkenswert, weil das Gericht sämtliche Argumente, die stets gebetsmühlenartig und unreflektiert für eine Haftung des Wikimedia Deutschland e.V. angeführt werden, sorgfältig abarbeitet und mit überzeugenden Gegenargumenten entkräftet.

In a nutshell hier die Erwägungen des Landgerichts, die zu einer Abweisung der Klage führten (im Urteil ab Seite 13):

Der Wikimedia Deutschland e.V. verfasst keine Beiträge für die Online-Enzyklopädie Wikipedia und nimmt auf deren Inhalt keinen Einfluss. Die Autorentätigkeit der Wikipedia-Nutzer und insbesondere auch der Administratoren ist dem Wikimedia Deutschland e.V. nicht zuzurechnen. Der deutsche Verein ist ferner nicht Betreiber oder Anbieter des Internetlexikons, auch nicht der deutschen Fassung. Der Vereinszweck, die Förderung freien Wissens, kann unabhängig von der Plattform auf vielfältige Weise erfolgen. Der Wikimedia Deutschland e.V. macht sich die Inhalte der Enzyklopädie nicht zu eigen, weil er die Artikel nicht wie eigene Inhalte wiedergibt. Auch aus der Inhaberschaft der Domain wikipedia.de und der unter dieser Domain angebotenen Suchmaske folgt kein Zu-Eigen-Machen, denn dadurch wird lediglich der Zugang zu den erkennbar von Dritten gestalteten Enzyklopädieinhalten erleichtert. Schließlich kann der Wikimedia Deutschland e.V. hier auch nicht als Störer angesehen werden. Von vornherein ausgeschlossen ist eine solche Störerhaftung für die Versionsgeschichte und die Diskussionsforen der Enzyklopädie, weil von wikipedia.de kein Zugang zu diesen vermittelt wird. Im Hinblick auf die aktuellen Artikelinhalte fehle es im konkreten Fall schon an einer wirksamen Inkenntnissetzung, weil im Zeitpunkt der Abmahnung der streitgegenständliche Inhalt in dem Artikel nicht mehr abrufbar war.

Klarer kann man es nicht sagen. Alles richtig.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass unter dem Gesichtspunkt der Störerhaftung eine Unterlassungsverpflichtung nur für die tatsächlich begangene Handlung besteht. Die tatsächlich durch den Wikimedia Deutschland e.V. begangene Handlung ist das Angebot einer Suchmaske, über die Inhalte in der Wikipedia gefunden werden können bzw. – genau genommen – mit der man sich der Suchfunktionen anderer Websites, unter anderem der Wikipedia, bedienen kann. Mehr nicht. Nur die Möglichkeit, über die Suchmaske direkt zu einem bestimmten Artikel zu gelangen, müsste er nach wirksamer Inkenntnissetzung einer klaren und eindeutigen Rechtsverletzung ausschließen, was zur Folge hätte, dass selbst bei grundsätzlicher Bejahung einer Störerhaftung der Wikimedia Deutschland e.V. nicht dafür zu sorgen hat, dass die streitgegenständliche Äußerung aus dem Artikel entfernt wird (was er auch gar nicht könnte). Eine etwaige Störerhaftung besteht nur wegen der Suchmaske, nicht wegen der des Artikels. Also: Wem ein Wikipedia-Artikel nicht passt und wer deswegen unbedingt auf formaljuristischem Wege mit der Ziel der Löschung einer Äußerung vorgehen möchte, ist bei dem Wikimedia Deutschland e.V. an der falschen Adresse.

Das Urteil ist auch im Hinblick auf weitere äußerungsrechtliche Aspekte sehr lesenswert. Betonen möchte ich vor allem, dass auch das Landgericht Hamburg eine Störerhaftung für fremde Inhalte wohl erst annimmt, nachdem der Intermediär in Kenntnis gesetzt wurde (so wie zuvor schon das Landgericht Berlin). Auch zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für Politiker enthält die Entscheidung einige sehr interessante Ausführungen. Alles in allem deutet sich an, dass das Landgericht Hamburg den richtigen Weg eingeschlagen hat.

JBB-Kollege Julian Höppner und ich haben den Wikimedia Deutschland e.V. in diesem Verfahren anwaltlich vertreten. Danke an die Wikimedia-Truppe für das abermals in uns gesetzte Vertrauen.

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18 Comments

  1. 7upMan
    Posted 13. April 2010 at 18:29 | Permalink

    Warum dieser Bohei um den Namen dieser Person? Wie kann ich herausfinden, von wem die Rede ist? Ich klicke Folgelink um Folgelink, aber kein Name. So langsam wird’s lächerlich.

  2. Posted 13. April 2010 at 18:50 | Permalink

    @7upMan: Der Name des Klägers ist irrelevant.

  3. 7upMan
    Posted 13. April 2010 at 19:14 | Permalink

    Finde ich nicht. Ich möchte mich – wie bei anderen Urteilen – darüber informieren, ob das Urteil aus meiner Sicht gerechtfertigt ist. Außerdem: Der Kläger hat das Verfahren ja anscheinend verloren, also ist der Wiki-Artikel rechtens. Warum wird dann ringsum nicht wenigstens auf den besagten Artikel verwiesen?

    Oder habe ich da was falsch verstanden?

  4. Posted 13. April 2010 at 19:26 | Permalink

    Ob das Urteil in Ordnung ist, lässt sich auch ohne Kenntnis des Namens des Klägers beurteilen. Der relevante Sachverhalt ist im Tatbestand der Entscheidung zutreffend dargestellt. Und in einem andern Punkt irren Sie: Auch soweit die Berichterstattung im Kontext einer gemeinnützigen, nicht-kommerziellen Online-Enzyklopädie rechtmäßig ist, kann sie in einem anderen Kontext unzulässig sein. Wie dem auch sei: Für die Zweck meines Blogs tut der Name jedenfalls nichts zu Sache und deswegen werde ich den Namen nicht nennen.

  5. 7upMan
    Posted 13. April 2010 at 19:43 | Permalink

    Okay, können Sie mir den Link zu der entsprechenden Seite per Mail schicken? Ich will eigentlich nur wissen, was der ganze Bohei soll. Das alles hat für mich schon regelrecht groteske Züge…

  6. Posted 13. April 2010 at 19:53 | Permalink

    “für seine besondere Strenge bekannte Landgericht Hamburg”

    es war die 25.Zivilkammer und der vorsitzende Richter war nicht Buske – der Hinweis ist unnötig, es fand kein GG-treuer Richtungswechsel statt.

    #k.

  7. Posted 13. April 2010 at 20:28 | Permalink

    An alle, die mich in der Zwischenzeit kontaktiert haben: Ich bitte um Ihr Verständnis, dass ich den Namen nicht nennen werde. Ich habe das Urteil auch deswegen so stark geschwärzt, damit der Kläger nicht identifiziert werden kann. Auch wenn er als ehemaliger Politiker gewisse Veröffentlichungen aus seiner Sozialsphäre und vielleicht seiner Privatsphäre dulden muss, möchte ich hier seinen Wunsch nach Anonymität respektieren, auch ohne dazu verpflichtet zu sein. Bei dieser Linie bleibe ich. Andere Leute mögen das anders handhaben. Eine im Kontext dieses Blogs nicht notwendige Offenlegung des Namens entspricht nicht meinem Stil.

  8. Posted 13. April 2010 at 20:57 | Permalink

    @Kand.in.Sky: Angelegenheiten, bei denen es um Internetveröffentlichungen geht, teilen sich beim Landgericht Hamburg die Zivilkammer 24 von Herrn Buske und die Zivilkammer 25 von Herrn Schulz. Beide Kammern sind nicht gerade für eine enge Auslegung persönlichkeitsrechtlicher Positionen bekannt. Haben Sie Informationen, dass es in der ZK 25 liberaler zugeht? Ich jedenfalls nicht.

    Außerdem: Was soll immer dieses Buske-Bashing? Die oben zitierte Entscheidung zu Atze Schröder kam ebenso aus der ZK 24 wie diese http://www.golem.de/0805/60071.html. Da wird ein Zu-Eigen-Machen abgelehnt. Ich kenne wesentlich schlimmere Kammern bei anderen Landgerichten.

  9. Posted 14. April 2010 at 00:26 | Permalink

    Herzlichen Glückwunsch zu diesem Urteil, Thorsten und Julian! Und Danke für die grandios erfolgreiche Arbeit, die Ihr seit Jahren bei der Verteidigung von Wikimedia leistet.

  10. Posted 14. April 2010 at 14:19 | Permalink

    Buske-Bashing ist nicht nötig, es sei das will man auch dem BGH unterstellen. Der aber “behindert” nur die Rechtsprechung.
    Sieht man sich die Buske’schen Zitate an weiss man warum nur er es zur Berühmtheit gebracht hat.

    #k.

  11. Johnny
    Posted 14. April 2010 at 14:49 | Permalink

    Mit seinem Urteil hat das LG Hamburg leider erneut bestätigt, dass Wikipedia ein letztlich rechtsfreier Raum ist. Hier kann jeder Autor dritte Personen oder Organisationen diffamieren, Tatsachen verdrehen oder sogar Rufmord betreiben, ohne dass sich ein Betroffener dagegen wirksam zur Wehr setzen könnte.

    Wenn Wikimedia nicht verantwortlich ist, beim wem ist man denn an der “richtigen Adresse”, wenn man z.B. eine rufschädigende Äußerung auf formaljuristischen Weg löschen lassen möchte, Herr Feldmann? Beim Autor doch wohl kaum, denn die Nutzer agieren bei Wikipedia im Regelfall anonym, sind also nicht greifbar. Natürlich kann der Betroffene selbst versuchen, einen Eintrag bei Wikipedia zu verändern. Das bringt nur nicht viel, wenn die Änderung binnen weniger Minuten von einem anderen (anonymen) Nutzer wieder rückgängig gemacht wird.

    Ärgerlich ist auch, dass das LG Hamburg in seinem Urteil bezüglich Wikipedia von einem „Internet-Lexikon“ spricht. Das LG Köln nannte Wikipedia in seiner Entscheidung vom 14.05.2008 zutreffend ein „Meinungsforum im weiteren Sinne“. Und mehr ist Wikipedia nicht, auch wenn der Verein Wikimedia gebetsmühlenhaft behauptet, Wikipedia sei eine „Enzyklopädie“. Diesen Begriff jedenfalls macht sich Wikimedia „zu Eigen“. Zukünftigen Klägern gegen Wikimedia sei empfohlen, diesen Aspekt herauszustellen, wenn es um die Frage der Mitstörerhaftung des Vereins geht. Denn es leuchtet unmittelbar ein, dass der Leser dem Artikel in einer Enzyklopädie eine deutlich höhere Gluabwürdigkeit beimisst als dem Eintrag in einem Meinungsforum.

  12. Waldi
    Posted 14. April 2010 at 17:53 | Permalink

    Hallo zusammen,

    mal eine andere Frage, die auch ein bißchen mit Auseinandersetzungen zu Artikeln zusammenhängt: Was macht man, wenn etwas offensichtlich Falsches in einem Artikel steht, der entsprechende Admin bei Wikipedia sich dafür aber offenbar nicht interessiert? Gibt es eine andere Variante als eine Klage? Man will ja auch nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Wie sind denn da die Wikipedia-internen Wege?

    Danke und schöne Grüße!

    P.S.: Und natürlich auch von mir herzlichen Glückwunsch zu dem Urteil!

  13. Johnny
    Posted 14. April 2010 at 18:05 | Permalink

    Mit seinem Urteil hat das LG Hamburg leider erneut bestätigt, dass Wikipedia ein letztlich rechtsfreier Raum ist. Hier kann jeder Autor dritte Personen oder Organisationen diffamieren, Tatsachen verdrehen oder sogar Rufmord betreiben, ohne dass sich ein Betroffener dagegen wirksam zur Wehr setzen könnte.

    Wenn Wikimedia nicht verantwortlich ist, bei wem ist man denn dann an der “richtigen Adresse”, wenn man z.B. eine rufschädigende Äußerung auf formaljuristischen Weg löschen lassen möchte, Herr Feldmann? Beim Autor doch wohl kaum, denn die Nutzer agieren bei Wikipedia im Regelfall anonym, sind also nicht greifbar. Natürlich kann der Betroffene selbst versuchen, einen Eintrag bei Wikipedia zu verändern. Das bringt nur nicht viel, wenn die Änderung binnen weniger Minuten von einem anderen (anonymen) Nutzer wieder rückgängig gemacht wird.

    Ärgerlich ist auch, dass das LG Hamburg in seinem Urteil bezüglich Wikipedia von einem „Internet-Lexikon“ spricht. Das LG Köln nannte Wikipedia in seiner Entscheidung vom 14.05.2008 zutreffend ein „Meinungsforum im weiteren Sinne“. Und mehr ist Wikipedia nicht, auch wenn der Verein Wikimedia gebetsmühlenhaft behauptet, Wikipedia sei eine „Enzyklopädie“. Diesen Begriff jedenfalls macht sich Wikimedia „zu Eigen“. Zukünftigen Klägern gegen Wikimedia sei empfohlen, diesen Aspekt herauszustellen, wenn es um die Frage der Mitstörerhaftung des Vereins geht. Denn es leuchtet unmittelbar ein, dass der Leser dem Artikel in einer Enzyklopädie eine deutlich höhere Glaubwürdigkeit beimisst als dem Eintrag in einem Meinungsforum.

  14. Michael Reinschmidt
    Posted 14. April 2010 at 21:08 | Permalink

    Mit dem scharfen Schwert der adäquat kausalen Verursachung wird ja in der Judikatur landauf, landab mittlerweile nahezu jede Art von Störerhaftung herbeikonstruiert, ohne noch groß mit der Wimper zu zucken. Gut, dass diesem ausufernden Trend nun einmal mehr eine Grenze gesetzt wurde. Meine kollegiale Hochachtung zu diesem Erfolg!

  15. Posted 15. April 2010 at 00:18 | Permalink

    @Johnny: Man muss sich an den Anbieter der Enzyklopädie wenden. Dies ist keine nur theoretische Möglichkeit. Der deutsche Verein ist und bleibt die falsche Adresse. Wenn mich eine Äußerung von Uli Hoeneß stört, verklage ich ja auch nicht irgendeinen Bayern-Fanclub.

  16. Posted 15. April 2010 at 00:21 | Permalink

    @Waldi: Matthias Schindler hat dazu einmal ein Interview bei telemedicus gegeben. Hier der Link: http://www.telemedicus.info/article/1096-Wie-wehrt-man-sich-gegen-Persoenlichkeitsverletzungen-auf-Wikipedia.html

  17. Achim Sorglos
    Posted 26. Mai 2010 at 18:49 | Permalink

    Wie ist dass eigentlich als Author bei Wikipdia, könnte ich da als “Störer” verklagt werden, oder ist das wider eine Grauzone.

  18. Posted 26. Mai 2010 at 18:57 | Permalink

    @AchimSorglos: Nein, das ist keine Grauzone: Der Autor haftet nicht als Störer, sondern ganz unmittelbar als Täter, wenn er die rechtswidrige Äußerung eingestellt hat.

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