LG Braunschweig: Hyperlinks und Persönlichkeitsrecht

Hier eine recht junge Entscheidung zum Thema Linkhaftung: Per Urteil vom 5. Oktober 2011 (9 O 1956/11 (278)) hat das LG Braunschweig einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück gewiesen, mit dem der Verfügungskläger, ein Burschenschaftler, ein Linkverbot gegen ein Nachrichtenmagazin durchzusetzen versuchte.

Der Fall kurz zusammengefasst: Im Rahmen der redaktionellen Berichterstattung hatte ein Nachrichtenmagazin per Hyperlink auf ein Forum bei indymedia verweisen, in dem E-Mails des Verfügungsklägers an andere Burschenschaftler veröffentlicht sind. Der Verfügungskläger erblickte in der Veröffentlichung der Mails und vor allem auch in der von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Verlinkung eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dem stellte sich das LG Braunschweig entgegen. Anders als andere Gerichte dies in ähnlichen Situationen handhaben würden, hat sich das LG Braunschweig aber nicht um die wesentliche online-rechtliche Frage der Rechtmäßigkeit der Linksetzung gedrückt. Vielmehr kann es nach Auffassung der Kammer offenbleiben, ob die Erstveröffentlichung der E-Mails unzulässig war. Jedenfalls sei – und das ist das Interessante – die Linksetzung sogar auch dann rechtmäßig, wenn sich die Veröffentlichung der E-Mails bei indymedia durch einen Unbekannten als rechtswidrig erweist. Die Rechtmäßigkeit der Linksetzung ergibt sich nach Auffassung der Kammer daraus, dass ein überwiegendes Informationsinteresse an dem Link auf die Originalquelle besteht und das Nachrichtenmagazin sich die Inhalte in dem verlinkten Forum nicht zu eigen gemacht hat. Aus der durch die Erstveröffentlichung etwaig bewirkten Persönlichkeitsrechtsverletzung lasse sich nicht folgern, dass der Hyperlink zu einer Vertiefung des Ersteingriffs führt.

Ein kurzer O-Ton von Nico Härting zu diesem Urteil findet sich hier.

Die BGH-Rechtsprechung zu dem, was in der Vergangenheit pathetisch als „Freiheit für Links“ bezeichnet wurde, ist also auch in Teilen der Instanzrechtsprechung angekommen. Zur Rekapitulation: In der Entscheidung AnyDVD/Heise vom 14. Oktober 2010 (I ZR 191/08) hatte der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Haftung von  Medienunternehmen für Links gelockert. Hyperlinks erschöpften sich nicht bloß in der technischen Funktion, den Aufruf der verlinkten Seite zu erleichtern. Sie seien vielmehr in die Beiträge und in die in ihnen enthaltenen Stellungnahmen als Belege und ergänzende Angaben eingebettet und würden schon aus diesem Grund nicht nur vom Gewährleistungsgehalt der Pressefreiheit, sondern auch von der Meinungsfreiheit erfasst. Der BGH ging aber noch einen pressefreundlichen Schritt weiter, indem er unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH und des EGMR bekräftigte, dass bei Vorliegen eines überwiegenden Informationsinteresses die durch Hyperlink vermittelte Berichterstattung sich auch auf eine unzweifelhaft rechtswidrige Äußerung beziehen darf.

Näheres zum damaligen BGH-Verfahren in der Dokumentation auf heise und im formidablen Vortrag von heise-Justiziar Joerg Heidrich auf der diesjährigen DSRI-Herbstakademie.

Das BGH-Urteil hat mich seinerzeit besonders entzückt, weil es – zumindest vorübergehend – einer offensichtlich sackhüpfenden Instanzrechtsprechung ein Ende bereitet hat, die unter einer erratisch anmutenden Störer-/Teilnehmersystematik den Linksetzer zur Verantwortung für fremde Inhalte gezogen hat. Legal, illegal, scheißegal: Hauptsache, der Anbieter haftet. Wie gesagt, die BGH-Entscheidung hat damit ein wenig aufgeräumt, die Relevanz von Links für die private und öffentliche Meinungsbildung betont und damit die Pressefreiheit gestärkt. Aber sie betraf mit § 95 a UrhG einen urheberrechtlichen Sachverhalt. Das hier besprochene Urteil des LG Braunschweig ist die erste mir bekannte, ausführlich begründete gerichtliche Entscheidung, die sich nach AnyDVD mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Verlinkung auf einen persönlichkeitsrechtsrelevanten Inhalt befasst. Es wäre wünschenswert, wenn andere Gerichte diesem Beispiel folgen.

(For the avoidance of doubt: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ich schreibe nicht unvoreingenommen. Wir haben in diesem Verfahren die Verfügungsbeklagte anwaltlich vertreten.)

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2 Comments

  1. Posted 20. Oktober 2011 at 02:15 | Permalink

    Lapidare Frage: Sie schreiben zwar, Sie seien Vertreter des Spiegel in diesem Verfahren gewesen. Ist das aber ein Grund, ihn hier nicht namentlich zu erwähnen? Schließlich wurde ja auch bei Spiegel Online selbst über das Urteil berichtet.

  2. Posted 20. Oktober 2011 at 09:41 | Permalink

    Ich schreibe das deshalb nicht, weil ich es für die Rechtsfrage als nicht relevant erachte.